Alles gut fair-teilt
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Lebensmittelbörse in Schaafheim rettet Essen vor dem Müll
Lebensmittel gibt es in Deutschland in großer Vielfalt und nicht selten zum Spottpreis. Viel Gutes landet am Ende im Müll. Ein bedrückender Zustand. Im hessischen Schaafheim gibt es darum seit zwei Jahren die „Lebensmittelbörse“: dort kann jede und jeder Lebensmittel bringen und abholen.
Duftende Brötchen und Brote, Zwiebeln und Salat, Kartoffeln und Karotten: vor dem Glockenturm der katholischen Pfarrkirche Sankt Paul in Schaafheim ist ein hübscher kleiner Marktstand aufgebaut. Dabei ist es gar kein Marktstand, sondern vielmehr ein Geschenkestand. An jedem Dienstag- und Samstagabend öffnet die Lebensmittelbörse von Margarete Stefan und ihrem Team. Drinnen im Turmraum steht Stefan zwischen Bananenkisten und Brotkörben und sortiert die heutige Ware. Ihre 61 Jahre sieht man der quirligen, blonden Frau nicht an. Rechtzeitig bevor die ersten Kirchgänger vor dem Gottesdienst vorbeischauen, will sie alles ansprechend aufbauen.
Einige der Lebensmittel hat heute Margot Freymark von der Organisation Foodsharing gebracht. Ihre Helfer holen Ware, die sonst in die Tonne wandern würde, bei kooperierenden Supermärkten ab und verteilen sie an gemeinnützige Einrichtungen wie die Tafeln oder eben die Lebensmittelbörse.
Seit über einem halben Jahr nutzt Margarete Stefan auch diese Quelle, um eine größere Vielfalt von Lebensmitteln bereitzustellen. Ihre ursprüngliche Idee war eine andere: das Tauschen. „Jeder kennt das doch“, erklärt sie, „man fährt in den Urlaub, aber der Kühlschrank ist noch voll. Oder man hat einen Garten und alles Gemüse wird auf einmal reif.“ Anstatt dann etwas wegzuwerfen, fand sie, könnte man es doch auch tauschen. Gegen etwas anderes, das man gerade braucht.
Mehr tun für andere
Im wirklichen Leben ist Margarete Stefan Schneiderin mit einer Werkstatt, die sich auf Fastnachtskostüme spezialisiert hat. Doch neben ihrem Engagement im Pfarrgemeinderat wollte sie mehr tun für die Menschen in ihrem Ort und ihrer Pfarrei. Als sie von Foodsharing erfuhr, reifte in ihr der Plan für die Lebensmittelbörse. Pfarrer Hermann Fuchs stellte er spontan den Glockenturm als Lager- und Ausgabeplatz zur Verfügung. Es konnte also losgehen. Am ersten Ausgabetag im Sommer 2017 war Margarete Stefan ziemlich nervös. Die Pfarrei hatte eine Einladung veröffentlicht, eine Zeitung hatte berichtet. „Trotzdem kamen nicht einmal zehn Leute. Und ich hatte kaum Sachen da.“ Enttäuscht sei sie danach gewesen, aber „wenn man schon mal anfängt, muss man auch durchhalten.“ Noch immer blitzt der Kampfeswille für die gute Sache in ihren Augen auf, wenn sie das erzählt. Um ihr Sortiment zu erweitern, fragte sie in Geschäften nach Lebensmitteln, die zu gut für die Tonne waren und begann ihre Zusammenarbeit mit Foodsharing. Allmählich sprach sich herum, dass es bei der Kirche eine Lebensmittelbörse gibt. Und dass sie anders funktioniert als etwa eine „Tafel“, bei der die Kunden einen Nachweis für ihre Bedürftigkeit vorzeigen und einen symbolischen Betrag von zwei Euro zahlen müssen. „Zu uns“, sagt Stefan, „kann jeder kommen und etwas mitnehmen – unabhängig von sozialer Bedürftigkeit und Religionszugehörigkeit.“ Genau so gern sieht sie aber auch Menschen, die etwas bringen.
Viele Überzeugungstäter
Das tut zum Beispiel Küsterin Brigitte Schmidt, die von Anfang an im Team mitarbeitete. „Ich unterstütze diese Art des fair-teilens gern und nutze die Börse auch selbst“, sagt sie. Ebenso geht es der 69-jährigen Brigitte Sudra aus Schaafheim, die regelmäßig kommt: „Eines Tages habe ich nach dem Gottesdienst diesen schönen Obststand vor der Kirche entdeckt“, erinnert sie sich. „Ich wollte mir etwas nehmen und bezahlen. Aber es war alles umsonst!“ Gerne nimmt sie bei der Börse Samstag abends süße Teilchen mit, die sie dann sonntags mit ihrem Mann genießt.
Im Sommer funktioniert die ursprüngliche Idee von Margarete Stefan gut, einige Schaafheimer bringen aus ihren Gärten, was sie selbst nicht aufessen könnten. „Da haben wir herrliche Zwetschgen und Äpfel.“ Dann hält sich der Anteil von Bringern und „Abholern“ - wie Stefan ihre Kunden nennt, die Waage. Viele kommen aus Überzeugung, weil sie selbst etwas gegen die Lebensmittelverschwendung tun wollten. Andere sind einfach froh, dass sie einmal aus einem reichhaltigen Angebot auswählen können. Über 30 Menschen pro Woche nutzen inzwischen das Angebot der Lebensmittelbörse. Eine einzige Regel hat Stefan seit dem Start aufgestellt: Von den haltbaren Lebensmitteln darf jeder Abholer nur drei Artikel mitnehmen.
Im Februar hat Margarete Stefan für ihre Engagement einen Preis bekommen: Vom Hessischen Rundfunk wurde sie zur „HR3-Umweltheldin“ gekürt. Eine Freundin hatte sie dafür vorgeschlagen, „die Überraschung war perfekt“, sagt Stefan. Die Anerkennung bestätigt sie in dem, was sie macht. „Ich finde, wir dürfen nicht so viel meckern, sondern müssen mehr ehrenamtlich aktiv werden. Es tut der Seele gut, etwas für andere zu machen.“
Mehr Informationen zum Thema unter www.foodsharing.de und www.zugutfürdietonne.de
Dieser Artikel erschien im September und Oktober beim Liboriusblatt sowie in den rheinhessischen Kirchenzeitungen.