Donum Vitae berät seit 20 Jahren Schwangere in Konfliktsituationen
Alles begann mit einem Eklat: Als die katholische Kirche 1999 Schwangerenkonfliktberatung ausstieg, gründeten Mitglieder des ZdK den eigenständigen Verein Donum Vitae. Damit wollten sie das Angebot von katholischer Seite her auch ohne die Kirche aufrechterhalten. Heute gibt es bundesweit 212 Beratungsstellen, deren Arbeit weit über die reine Konfliktberatung hinausgeht. Vonseiten der Kirche erfährt Donum Vitae inzwischen vorsichtige Wertschätzung.
Wiesbaden, ein sonniger Spätsommertag im Stadtteil Schierstein unweit des Rheins. Der Blick aus dem Fenster des Beratungszimmers fällt auf eine ruhige Straße mit viel Grün. Drinnen ist es hell und freundlich eingerichtet. Nur die Taschentuchpackung auf dem Tisch verrät, dass in diesem Raum Gespräche geführt werden, die von persönlichen Krisen handeln, von schwierigen Entscheidungen. 158 Frauen haben im vergangenen Jahr Donum Vitae in Wiesbaden aufgesucht, um eine sogenannte Schwangerenkonfliktberatung zu erhalten. Das Gesetz verpflichtet Frauen, die ihr Kind abtreiben lassen wollen, zu einem solchen Beratungsgespräch. Als Beleg hierfür erhalten sie den schriftlichen Nachweis, auf dessen Grundlage die Abtreibung straffrei erfolgen kann.
Viele Jahre gab es die Möglichkeit dieser Beratung auch bei kirchlichen Stellen, bis die katholische Kirche 1999 aus der Beratung ausstieg. Der Grund war der Beratungsschein, den die Frauen am Ende des Gesprächs erhalten. Dadurch mache sich die Kirche an der Tötung ungeborenen Lebens mit schuldig, so das Argument des damaligen Papstes Johannes Paul II. Die Entscheidung löste ein mittleres innerkirchliches und mediales Erdbeben aus. Es gab diejenigen, die die Entscheidung begrüßten und diejenigen, die daran verzweifelten. Und viele derer, die bislang selbst unter kirchlicher Flagge in der Schwangerenkonfliktberatung gearbeitet hatten, waren sich sicher, dass dieses Angebot nicht wegfallen dürfe. Aus dieser Not heraus gründeten Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) um Rita Waschbüsch im September 1999 den Verein „Donum Vitae“ - Geschenk des Lebens.
20 Jahre später hat sich Donum Vitae fest in der Gruppe der Beratungseinrichtungen etabliert. Doch wie haben die Mitarbeiterinnen vor Ort die Entwicklung wahrgenommen und wie sieht das Verhältnis zwischen Verein und Kirche heute aus?
Donum Vitae – mehr als Konfliktberatung
Ursula Meller ist Leiterin der Beratungsstelle Wiesbaden und hat diese 2002 auch mit aufgebaut. Sie erinnert sich noch gut an die Anfänge in provisorischen Räumlichkeiten, wo ausrangierte Schreibtische der Nassauischen Sparkasse für die vorläufige Büroausstattung herhalten mussten. Bevor sie bei Donum Vitae einstieg, war Meller in der Schwangerenberatung der Caritas tätig. Inzwischen arbeitet sie mit ihrer Kollegin Sabine Strunge, der derzeitigen Praktikantin und einer Verwaltungskraft in modernen, hellen Räumen im ersten Stock eines sozialpädagogischen Zentrums unweit des Rheins.
„In den vergangenen Jahren hatten wir rund 130 Konfliktberatungen pro Jahr und zusätzlich etwa 240 allgemeine Beratungen zu den Themen Schwangerschaft und Geburt“, erklärt Meller und deutet damit an, zu was Donum Vitae sich in 20 Jahren entwickelt hat: Immer neue Bereiche decken die Mitarbeiterinnen ab, es geht längst nicht mehr nur um die Konfliktberatung, das große Reizthema von damals. Zu Meller und Strunge kommen auch Paare, die Informationen über finanzielle Hilfe im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt suchen oder familiäre Probleme haben. Beratungen gibt es inzwischen auch zu den Themen vertrauliche Geburt, pränatale Diagnostik und Totgeburten. Seit 2008 bietet Donum Vitae zudem eine anonyme Onlineberatung an. Externe Mitarbeiterinnen leiten Präventionsprojekte an Schulen. Sie bilden etwa 9.-Klässlerinnen als Multiplikatoren zum Thema Sexualität und Aufklärung aus, sodass Wissen von Gleichaltrigen vermittelt werden kann. In manchen Beratungsstellen finden sogar Schwangerschafts-Yogakurse und Workshops über Babynahrung statt. Das alles ist Donum Vitae heute. Kaum eines der Themen, wie man sie auf den Webseiten von Pro Familia, der Diakonie oder der Caritas findet, wird ausgespart. Finanziert werden die eher knapp bemessenen Stellen aus Bundesmitteln und Mitgliederbeiträgen (siehe Kasten).
Hauptanliegen: Nöte ernst nehmen
Trotz allem ist und bleibt die Konfliktberatung das Herzstück von Donum Vitae. „Das ist das Hauptanliegen unseres Vereins“, sagt Meller, „eine Konfliktberatung würden wir nie absagen und kümmern uns auch darum, sie kurzfristig möglich zu machen.“ Um doch noch ein Leben zu retten? Von den 158 Konfliktberatungen in 2018 ging immerhin eine Handvoll Frauen heim, ohne den Beratungsnachweis mitzunehmen. Was mit großer Wahrscheinlichkeit heißt, dass sie ihn nicht mehr wollten und sich für das Kind entschieden haben. Doch das sind nicht die Hintergedanken der Beraterinnen: „Es geht uns zuallererst darum, die Nöte der Frauen ernst zu nehmen“, betont Ursula Meller und ihre Kollegin Sabine Strunge sagt: „Ich könnte hier nicht als Beraterin sitzen, wenn ein Abbruch für mich nicht grundsätzlich okay wäre.“ Ergebnisoffen soll das Gespräch sein, ohne Druck. Das überrasche manche Frauen positiv: „Wir hatten auch schon welche hier“, sagt Strunge, „die nach dem Gespräch verwundert sagten 'Ich dachte, Sie wollen mich hier nur überreden, das Kind zu behalten.'“
Ein Großteil der Frauen habe die Entscheidung über die Zukunft der Schwangerschaft ohnehin bereits vor dem Gesprächstermin getroffen. Für Meller und Strunge, das wird schnell deutlich, ist die Debatte, wie sie von kirchlicher Seite lange geführt wurde, emotional zu aufgeladen und basiert zu wenig auf Faktenwissen. Das haben die beiden Sozialpädagoginnen aus ihrer täglichen Praxis. Zu ihnen kommen Frauen, die schon mehrere Kinder haben und vom Partner sitzengelassen wurden. Solche, bei denen Verhütungsmittel nicht gewirkt haben und die sich einfach nicht vorstellen können, Mutter zu werden. Andere, die mittellos, zu jung und ohne Ausbildung sind. Sabine Strunge und Ursula Meller glauben nicht, dass sie über diese Frauen richten sollten. Aber dass sie ihnen helfen müssen.
Von kirchlicher Seite hat die Beratungsstelle Wiesbaden, die zum Bistum Limburg gehört, nur wenig Ablehnung erfahren. „In der Konfliktzeit, als es Probleme mit Bischof Tebartz-van Elst gab, war es schwieriger. Aktuell ist die Lage sehr entspannt“, so Meller. Es sei ihnen wichtig, „dass wir christliche Wurzeln haben, denn in unserem Vorstand waren und sind viele, die der Kirche nahe stehen. Wir sind kirchennah, aber nicht kirchlich, sondern eigenständig.“
Bistum Fulda: Entspannung nach schwerer Zeit
Ein Anruf in der Beratungsstelle Fulda. Dort haben Vorstand und Beratungsteam einen vergleichsweise schweren Weg hinter sich. Schon 1992, als es den kirchlichen Beratungsstellen noch nicht untersagt war, den Nachweis auszustellen, verbot der damalige Bischof Johannes Dyba dies bereits in seiner Diözese. Später unterstellte er den Mitarbeiterinnen von Donum Vitae, „Tötungslizenzen“ auszustellen.
„Wir sind nicht zufällig die jüngste Beratungsstelle im Bistum Fulda“; berichtet die erste Vorsitzende Inge Hohmann, „in der Anfangszeit hat man es uns schwer gemacht. Auch damals gab es schon Priester und Angestellte der katholischen Kirche, die uns unterstützt haben - aber die sind dann heimlich in einer anderen Stadt Mitglied bei Donum Vitae geworden. Es war doch paradox; Wir wollten damals den Frauen das entgegenbringen, was der Kirche so wichtig ist: die Nächstenliebe. Und dafür mussten wir uns von der Kirche trennen.“ Das Verhältnis zur Kirche habe sich inzwischen deutlich entspannt. Auch die Vernetzung zu anderen sozialen Stellen sei gut: „Wir haben intensive Kontakte zum SkF und zu Pro Familia“, sagt Katrin Weil aus der Fuldaer Beratungsstelle. „Dass wir gleichberechtigt anerkannt sind, sieht man auch daran, dass wir mit den anderen gemeinsam auf einem Flyer genannt werden, den die Frauenärzte ausgeben können.“
So ergeht es auch Ellen Bachmann, Leiterin der Donum Vitae Beratungsstelle Darmstadt: „Wir nehmen gemeinsam mit Pro Familia, Diakonie und Caritas regelmäßig an Fachtreffen teil und arbeiten gelegentlich bei Fällen zusammen.“ Bachmann hat wie Ursula Meller in Wiesbaden die Einrichtung in Darmstadt mit aufgebaut. „Natürlich gab es damals Gegenwind, den habe ich schon gespürt. Aber ich habe mir auch gedacht: 'Egal, was die Kirche sagt, wir können die Frauen in Notsituationen nur erreichen, wenn wir ein entsprechendes Angebot machen.'“ Ellen Bachmann sagt, „inoffizielles Wohlwollen“ habe es im Bistum Mainz vonseiten der Kirche ohnehin immer gegeben.
Anerkennung durch die Deutsche Bischofskonferenz
Nicht nur in einem Bistum wie Mainz, in dem jahrelang Kardinal Lehmann für den Verbleib der Kirche in der Konfliktberatung gekämpft hatte, scheinen heute alte Wunden verheilt und Blicke in die Zukunft gerichtet. Im vergangenen Jahr schrieb Kardinal Reinhard Marx in seiner Funktion als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) an ZdK-Präsident Thomas Sternberg, es bestehe „kein Zweifel, dass das Ziel von Donum Vitae ebenso wie das der bischöflich verantworteten Schwangerenberatung der Schutz des ungeborenen Menschen ist. Ich stelle fest, dass es über die Jahre hinweg auch vielen Beraterinnen von Donum Vitae gelungen ist, zahlreichen Frauen bzw. Eltern Mut zu machen für ein Leben mit dem Kind, und dafür bestmögliche Hilfestellungen zu bieten. Dafür dürfen wir gemeinsam dankbar sein.“ Marx fügte noch an, dass ehemalige Mitarbeiter von Donum Vitae nachfolgend auch in einer kirchlichen Beratungsstelle arbeiten können. Keine Selbstverständlichkeit: 2006 hatte die DBK kirchlichen Angestellten noch eine Mitarbeit bei Donum Vitae untersagt. Was kann zu dieser Entwicklung geführt haben? „Ich könnte mir vorstellen, dass es mit unserem aktuellen Papst zusammenhängt“, sagt Ellen Bachmann. „Er betont immer wieder, was das Ziel der katholischen Kirche sein soll: Nämlich die Hinwendung zu den Menschen, die man nicht an Bedingungen knüpfen darf.“
Ende gut, alles gut? Einerseits vielleicht – andererseits kommt die Entwicklung vonseiten der Kirche wie bei so vielen anderen Themen fast zu spät. So verwundert es nicht, dass die Aussage Marx' die Teams der Beratungsstellen nur wenig beeindruckte: „Darüber freue ich mich persönlich als Katholikin, aber ich bin trotzdem froh, dass wir kein kirchlicher Verein sind“, fasst Inge Hohmann aus Fulda ihre Ansicht zusammen. Weitere öffentliche Anerkennung und Wertschätzung durch die Kirche für ihre Arbeit würden sich die Mitarbeiterinnen aus allen drei Teams dennoch wünschen. Und noch etwas fällt Ellen Bachmann ein: „In den vergangenen Jahren sind so viele neue Gesetze und Aufgaben auf uns zugekommen, dass ich mir vor allem eine bessere personelle Ausstattung für unsere Beratungsstelle wünsche. Da wäre es natürlich toll, wenn ich auch auf den bischöflichen Hilfsfond zugreifen könnte, um noch besser zu helfen, wo es nötig ist.“ Denn egal, wie das Gespräch bei einer Schwangerenkonfliktberatung am Ende ausgeht: Die Frauen sollen wissen, „dass unsere Tür ihnen immer offen steht“, erklärt Bachmann. „Ich wünsche mir, dass es genau das ist, was Donum Vitae für Frauen ausmacht.“
Dieser Artikel erschien am 29. September 2019 in den rheinhessischen Kirchenzeitungen. Auf deren Webseite www.kirchenzeitung.de sind auch Stellungnahmen der Bischöfe aus den Bistümern Mainz, Fulda und Limburg zum Thema Donum Vitae zu lesen.