Dass Vincent van Gogh in Deutschland beliebt ist - das ist kein Geheimnis. Kaum ein Baumarkt, der nicht Reproduktionen der Sonnenblumen oder der "Cafeterrasse am Abend" im Angebot hätte. Dabei hat der niederländische Künstler, der 1890 mit 37 Jahren starb, den Ruf des wahnsinnigen, traurigen Genies. Zu Lebzeiten verkaufte er kaum ein Bild.
Doch der "Mythos van Gogh" entwickelte sich schnell - und zwar maßgeblich in Deutschland. Dies ist die Grundthese der Schau "Making van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe", die ab Mittwoch und bis zum 16.2.20 im Frankfurter Museum Städel zu sehen ist.
Die Ausstellung ist in drei Kapitel unterteilt: Mythos, Wirkung und Malweise. Wer den Rundgang beginnt, läuft direkt auf das leuchtende Gelb des Gemäldes "L'Arlesienne", nur um es gleich daneben auf einer übergroßen Fotografie von 1912 wiederzuentdecken: In der Aufnahme der Kölner Sonderbund-Ausstellung von 1912, bei der von 25 Ausstellungsräumen fünf dem Werk van Gogh gewidmet waren.
Die Aussage des Städel-Projekts dahinter ist klar: Van Gogh war rasch eine Berühmtheit auf dem deutschen Kunstmarkt - wenn auch keine unumstrittene, wie Dokumente im zweiten Teil der Schau zeigen. Dort ist die Protestschrift des Worpsweder Landschaftsmalers Carl Vinnen zu sehen, der sich 1911 mit mehr als 100 weiteren Künstlern gegen den Kauf eines van-Gogh-Bildes durch die Bremer Kunsthalle wehrte. Geschürt wurde die Angst vor einer Vormachtstellung des französischen Impressionismus in deutschen Museen.
In einer Gegenschrift sprachen sich jedoch mehr Künstler für den Ankauf und eine internationale Ausrichtung der Ausstellungshäuser aus. Denn längst hatte van Gogh viele begeistert und inspiriert. "Ohne van Gogh wäre die deutsche Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts völlig anders verlaufen. Künstlergruppen wie Die Brücke oder Der Blaue Reiter haben wesentlichen Impulse den Bildern van Goghs zu verdanken", sagt Ausstellungskurator Felix Krämer.
Auch darum ist einer der spannendsten Teile der Schau das dritte Kapitel, das sich der Malweise widmet und eine Hommage an van Gogh verbildlicht. Viele großen Namen des beginnenden 20. Jahrhunderts in der deutschen Kunst sind dabei: über Max Pechstein und Otto Dix über August Macke, Felix Nussbaum und Paula Modersohn-Becker bis hin zu Karl Schmidt-Rottluff. Und der Besucher bekommt eine Ahnung davon, wie eindrücklich van Goghs Werk auf sie alle gewirkt haben muss.
Mensch mit Brüchen
Aber warum ausgerechnet van Gogh und warum ausgerechnet um die Jahrhundertwende? Krämer wagt als Antwort einen Blick auf die Situation des späten Kaiserreichs. Die deutsche Kunst sei damals sehr geschlossen gewesen "mit vielen erdigen Tönen", in die van Goghs Bilder "grell, revolutionär und intensiv" gleichsam hineinbrachen.
Der Mensch van Gogh war dazu kein Widerspruch: Ein Mann, der Brüche und Verzweiflung erfahren hatte, damit im Gegensatz zu den Künstlerviten stand, die bis dato populär waren: Erfolgsgeschichten ohne Makel. "Nicht von ungefähr", sagt Krämer, "gehörten vielleicht deshalb auch Frauen und jüdische Bürger zu seinen ersten Sammlern und Bewunderern." Menschen, die Diskriminierung und Benachteiligung kannten und sich dem Maler darum nahe fühlten.
Auch die Fans bekannter Werke werden nicht enttäuscht - verschiedene Selbstporträts sind ebenso zu sehen wie etwa "Der Sämann" oder "Die Pappeln von Saint-Remy". Doch es gibt auch Überraschungen, die einen anderen, unbekannteren Van Gogh zeigen, wie etwa die "Mühle Le blute- fin". Zudem hat das Kuratorium Werke Peter August Böckstiegels und Wilhelm Morgners ausgewählt. Künstler, die in ihrem Schaffen klar von van Gogh inspiriert wurden und sich nicht hinter dem großen Meister verstecken müssen.
Eine vielleicht in ihrer Präsentation gerade in diesen Tagen wichtige Leerstelle ist der Rahmen des "Porträts des Dr. Gachet". 1912 vom Städel erworben, wurde es 1937 von den Nationalsozialisten als "entartete Kunst" beschlagnahmt und befindet sich heute in einer privaten Sammlung. Der Originalrahmen ist geblieben.
Info:
"Making van Gogh - Geschichte einer deutschen Liebe", 23.10.19 bis 16.2.2020, Museum Städel, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dieser Artikel erschien am 21. Oktober 2019 bei der Katholischen Nachrichtenagentur.